Muss ich meinem Produkt zwingend eine Betriebsanleitung in Papierform beilegen? <br/>Ist das noch zeitgemäß?

Muss ich meinem Produkt zwingend eine Betriebsanleitung in Papierform beilegen?
Ist das noch zeitgemäß?

Dies ist durchaus eine Frage die viele produzierende Unternehmen betrifft und vor allem in Bezug auf die nachhaltige Ausrichtung eines Unternehmens immer mehr an Bedeutung gewinnt. Wollte man es auf die Spitze treiben, könnte man fast von einem Interessenskonflikt zwischen Nachhaltigkeit und Sicherheit sprechen; im Folgenden sollen aber rein der fundiert geschaffene Rechtsrahmen und die gelebte Praxis fokussiert werden.

Rechtliche Grundlagen

Am Beispiel der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG wird deutlich, wie das Erfordernis einer Betriebsanleitung auf europäischer Ebene verankert ist.

Artikel 5 Abs. 1 c.) der Maschinenrichtlinie fordert das zur Verfügung stellen einer Betriebsanleitung.

„(1) Der Hersteller oder sein Bevollmächtigter muss vor dem Inverkehrbringen und/oder der Inbetriebnahme einer Maschine c) insbesondere die erforderlichen Informationen, wie die Betriebsanleitung, zur Verfügung stellen;“

Dieses Erfordernis wird zusätzlich durch Anhang I 1.7.4 ff konkretisiert:

„Jeder Maschine muss eine Betriebsanleitung in der oder den Amtssprachen der Gemeinschaft des Mitgliedstaats beiliegen, in dem die Maschine in Verkehr gebracht und/oder in Betrieb genommen wird.

Die der Maschine beiliegende Betriebsanleitung muss eine „Originalbetriebsanleitung“ oder eine „Übersetzung der Originalbetriebsanleitung“ sein; im letzteren Fall ist der Übersetzung die Originalbetriebsanleitung beizufügen.“

Unstrittig ist, dass die Betriebsanleitung in der jeweiligen Amtssprache des Landes der EU vorliegen muss, in welches das Produkt in Verkehr gebracht wird. Ebenso werden konkrete Vorgaben an die Inhalte der Betriebsanleitung definiert. Was jedoch nicht eindeutig geregelt wird, ist die Form in welcher die Betriebsanleitung beigefügt werden muss.

Fraglich ist demnach, wie sich die Form spezifizieren lässt.

Leitfaden zur Maschinenrichtlinie

§ 255 des Leitfadens führt hierzu folgendes aus: „Der allgemeine Konsens lautet, dass sämtliche Anleitungen, die für Sicherheit und Gesundheitsschutz relevant sind, in Papierform mitgeliefert werden müssen, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Benutzer Zugang zu einem Lesegerät für das Lesen einer in elektronischer Form oder auf einer Website zur Verfügung gestellten Betriebsanleitung hat“

Auf den ersten Blick wird hier eine konkrete Aussage zur Form getroffen. Referenziert man allerdings auf die rechtliche Wirkung des Leitfadens, so wird bereits im Leitfaden deutlich, dass nur die jeweils behandelte Richtlinie rechtliche Wirkung entfaltet, nicht aber der Leitfaden selbst. Dieser enthält Handlungsempfehlungen der Kommission und soll dem Verständnis und der Auslegung der Richtlinie zuträglich sein. Die Stellung des Leitfadens in der Industrie ist allerdings nicht zu unterschätzen, da der Leitfaden eine entsprechende Orientierungshilfe bietet, anhand derer die Richtlinie in der gelebten Praxis ausgelegt wird.

Nationales Recht:

§ 6 ProdSG „Der Hersteller, sein Bevollmächtigter und der Einführer haben (…) bei der Bereitstellung eines Verbraucherprodukts auf dem Markt (…) der Verbraucherin oder dem Verbraucher die Informationen zur Verfügung zu stellen, die diese oder dieser benötigt, um die Risiken, die mit dem Verbraucherprodukt während der üblichen oder vernünftigerweise vorhersehbaren Gebrauchsdauer verbunden sind und die ohne entsprechende Hinweise nicht unmittelbar erkennbar sind, beurteilen und sich gegen sie schützen zu können, (…)“

In der Amtlichen Begründung zu dieser Rechtsnorm (BT-Drs. 19/28406 vom 13.04.2021) wird dazu konkretisierend zu § 6 Absatz 1 Nummer 1 ausgeführt:

„Nummer 1 wird inhaltlich an Artikel 5 Absatz 1 Unterabsatz 1 Satz 1 Richtlinie 2001/95/EG angepasst. Die Richtlinie 2001/95/EG verlangt, dass die für den Verbraucher einschlägige Informationen erteilt werden. Wenn in der bisherigen Fassung von „sicher stellen“ gesprochen wurde, soll an dieser Formulierung nicht festgehalten werden. „Sicher stellen“ wird in der Literatur dahingehend definiert, dass der Informationspflichtige eine Hinweisform wählt, bei der nach menschlichem Ermessen davon ausgegangen werden kann, dass die Hinweise beim Verbraucher ankommen (Klindt in Klindt, ProdSG, 2. Aufl., § 3 Rn. 33). Aufgrund einer sich stark wandelnden Informations- und Kommunikationstechnologie kann das Zur-Verfügung-Stellen der einschlägigen Informationen auch anders als durch das physische Mitgeben der Informationen (zum Beispiel in Papierform) am Produkt erfolgen (zum Beispiel OLG Frankfurt, Urteil vom 28.2.2020 – 6 U 181/17, Randnummer 51 – juris).“

Der Verweis auf das Urteil 6 U 181/17 vom 28.2.2020 zielt auf folgende Ausführung ab:

„3. Die Klägerin hat gegen den Beklagten auch einen Anspruch auf Unterlassung aus §§ 3, 3a, 8 I UWG i.V.m. § 3 IV ProdSG, das Produkt in den Verkehr zu bringen, ohne eine deutschsprachige Bedienungsanleitung beizufügen. (…)

b) Unstreitig hat der Beklagte dem Produkt zunächst keine deutsche Gebrauchsanleitung in Papierform beigefügt. Dies ist auch nicht erforderlich. In welcher Form eine Bedienungsanleitung mitzuliefern ist, ist in § 3 Abs. 4 Satz 1, 1. Halbsatz ProdSG nicht geregelt. Eine Verpflichtung, die Bedienungsanleitung in auf Papier gedruckter Form beizufügen, lässt sich aus dem ProdSG nicht ableiten (LG Potsdam, Urt. v. 26.6.2014 - 2 O 188/13, Rn. 31 - juris; Czernik, MMR 2015, 338). Eine andere Auslegung ergibt sich auch nicht aus der RL 95/2001/EG, welche durch das Produktsicherheitsgesetz umgesetzt wurde. Nach Art. 5 Abs. 1 sind dem Verbraucher lediglich einschlägige Informationen zu erteilen, damit er die Gefahren, die von dem Produkt während der üblichen oder vernünftigerweise vorhersehbaren Gebrauchsdauer ausgehen und die ohne entsprechende Warnhinweise nicht unmittelbar erkennbar sind, beurteilen und sich dagegen schützen kann. Auch aus den Erwägungsgründen lässt sich nichts anderes ableiten. Aus § 7 II Nr. 2 der Zweiten Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz (Verordnung über die Sicherheit von Spielzeug) ergibt sich ebenfalls nur, dass dem Spielzeug die Gebrauchsanleitung und Sicherheitsinformationen in deutscher Sprache „beigefügt“ sein müssen.

c) Es genügt daher, wenn der Beklagte dem Käufer vor der Lieferung eine deutschsprachige Bedienungsanleitung per E-Mail als PDF-Datei zur Verfügung stellt. (…)“

Freilich ist es aufwendig, jedem Kunden eine E-Mail mit Bedienungsanleitung in Landessprache für ein spezifisches Produkt zukommen zu lassen, auch wenn die persönlichen Daten bei Online-Bestellungen relativ leicht zugänglich sind. Ob sich hier eine wirtschaftliche Einsparung herbeiführen lässt, muss im Einzelfall geprüft werden, erscheint aber fraglich. Aus der Essenz des Urteils lässt sich aber entnehmen, dass es keine rechtliche Verpflichtung zum Beifügen einer Bedienungsanleitung auf national-rechtlicher Ebene gibt.

9. Produktsicherheitsverordnung (nationale Umsetzung der Maschinenrichtlinie)

§ 3 Abs. 2 Nr. 3 9. ProdSV „insbesondere die erforderlichen Informationen, wie die Betriebsanleitung im Sinne des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG, zur Verfügung stellen,“

Analog der Maschinenrichtlinie wird auch in der deutschen Umsetzung derselben keine konkrete Form vorgeschrieben.

Ergebnis

Es ist weder auf europäischer, noch auf nationaler gesetzlicher Ebene konkret geregelt, in welcher Form die Betriebsanleitung beigefügt werden muss. Im Detail muss daher untersucht werden, wie sich das gesetzlich vorgeschriebene „Beifügen“ auf die Form der Betriebsanleitung auswirkt.

Hierfür kann die sich aus der deutschen Rechtsprechung ergebende Verkörperungsdoktrin zur Auslegung herangezogen werden (LG Potsdam, Urteil vom 26.06.2014 - 2 O 188/13 = MMR 2015, 335, OLG Frankfurt, 28.02.2019 - 6 U 181/17 = GRUR-RR 2019, 381), da der Begriff „Beifügen“ sowohl die elektronische, als auch die Papierform zulässt. Von der elektronischen Form sind aber laut Verkörperungsdoktrin auch nur solche elektronischen Formen erfasst, denen es nicht an der Verkörperung mangelt wie es beispielsweise bei rein digitalen Lösungen der Fall ist.

Ein USB-Stick auf dem sich eine Bedienungsanleitung auf Landessprache befindet wäre demnach auch ein taugliches Medium um dem Erfordernis „Beifügen“ nachzukommen.

Die jeweiligen konkreten Erfordernisse für eine Papierform ergeben sich immer aus den Leitfäden zur Richtlinie. Der Leitfaden selbst weist darauf hin, dass dieser keine direkte rechtliche Bindung entfaltet, sondern lediglich die zugrundeliegenden Rechtsakte.

Im Ergebnis resultiert das Erfordernis zum Beifügen einer Betriebsanleitung in Papierform also vielmehr aus anerkannter Praxis, als aus konkreten rechtlichen Vorgaben.

Handlungsempfehlung

Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden. Am Beispiel der Maschinenrichtlinie kann hier auf die harmonisierte Norm DIN EN ISO 12100 verwiesen werden, da ein Leitziel der Maschinenrichtlinie ist, die Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen festzulegen und deren Einhaltung sicherzustellen. Neben einer inhärent sicheren Konstruktion lassen sich Risiken auch durch Sicherheits- oder Warnhinweise minimieren. Dies setzt allerdings voraus, dass dem Nutzer diese Informationen auch übermittelt werden.

Wie bereits festgestellt fehlt es an einer verpflichtenden rechtlichen Grundlage für das zwingende Beifügen einer Betriebsanleitung in Papierform. Die Leitfäden der europäischen Union stellen Leitlinien für die Hersteller und Inverkehrbringer dar und veranschaulichen die gelebte Praxis der Anwender. Inwiefern sich darauf berufen wird, der streng rechtlichen Einschätzung zu folgen bzw. deren Lücken auszunutzen, obliegt somit auch der Risikoabwägung des Herstellers. Hierfür ist vor allem eine Einschätzung vorzunehmen, welches Risiko vom vertriebenen Produkt ausgeht und inwieweit der Nutzerfreundlichkeit und Informationspflicht Rechnung getragen wird, sollte dem Produkt keine Anleitung in Schriftform beiliegen.

Fraglich ist zudem die Kenntnis und Möglichkeit der Nutzer, ein elektronisch verkörpertes Medium zu öffnen und zu lesen (beispielsweise ein PDF-Dokument auf einem mitgelieferten USB-Stick). Die Argumentation im Leitfaden der Maschinenrichtlinie basiert vor allem auf der Annahme, dass nicht jeder Kunde oder Nutzer die Möglichkeit hat, ein elektronisch verkörpertes Dokument abzurufen und zu lesen, da dies entweder ein Smartphone oder einen PC erfordert sowie Zugang zum Internet.

Somit kann eine Entscheidung zur Einsparung der Papierform auch immer zur Erhöhung eines Risikos beim Nutzer führen und muss individuell je nach Charakteristik und Risikopotenzial des Produkts berücksichtigt werden.

Ein Lichtblick am Horizont ist der Entwurf zur neuen Maschinenverordnung. Dieser sieht aktuell die Möglichkeit einer digitalen Betriebsanleitung vor, erfordert aber, dass dem Kunden auf Nachfrage auch eine entsprechende Anleitung in Papierform zur Verfügung gestellt werden kann. Auch wenn es hierfür sicher wieder individuelle Auslegungen geben wird, so wird deutlich, dass die Thematik aufgegriffen und einbezogen wurde und sich zukünftig vielleicht ein von Vornherein klares Potenzial zur Digitalisierung eröffnet.

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